Logo LUFTFAHRTPORTAL
(Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten)
DLR Forschungsflugzeug Falcon 20E auf dem Rollfeld
EU-Projekt A4Climate erforscht Vermeidung von Kondensstreifen - Bild: © DLR (CC BY-NC-ND 3.0)

Kondensstreifen gehören seit Jahrzehnten zum gewohnten Bild am Himmel und sind ein sichtbares Zeichen des modernen Luftverkehrs. Neue Forschungsergebnisse zeigen nun, dass sich ihre Entstehung gezielt beeinflussen und sogar vermeiden lässt. Moderne Flugplanung, innovative Triebwerke und nachhaltige Kraftstoffe eröffnen der Luftfahrt zusätzliche Möglichkeiten, ihre Klimawirkung weiter zu optimieren.

Wie entstehen Kondensstreifen – und warum spielen sie eine Rolle für das Klima?

Kondensstreifen entstehen in großen Flughöhen, wenn die heißen Abgase eines Flugzeugs auf sehr kalte und feuchte Luft treffen. Der in den Abgasen enthaltene Wasserdampf gefriert dabei schlagartig zu winzigen Eiskristallen. Zunächst bilden sich die bekannten schmalen weißen Linien hinter dem Flugzeug, die sich je nach Wetterlage zu ausgedehnten Eiswolken weiterentwickeln können. Diese künstlichen Wolken können - ähnlich wie natürliche Zirruswolken - Wärmestrahlung in der Atmosphäre zurückhalten. Wissenschaftlich wird dieser Effekt als zusätzlicher Strahlungsantrieb beschrieben. Aktuelle Studien zeigen, dass dieser Effekt zwar begrenzt ist, sich aber gezielt beeinflussen lässt, wenn man versteht, unter welchen Bedingungen Kondensstreifen besonders langlebig entstehen. Genau an diesem Punkt setzt die moderne Luftfahrtforschung an: Ziel ist es nicht, auf das Fliegen zu verzichten, sondern die physikalischen Prozesse so genau zu verstehen, dass sich Kondensstreifen dort vermeiden lassen, wo sie besonders lange bestehen bleiben würden.

Intelligente Flugrouten als Schlüssel zur Kondensstreifen-Vermeidung

Ein zentraler Ansatz zur Reduzierung von Kondensstreifen liegt in der intelligenten Flugplanung. Denn nicht in jeder Höhe und nicht in jeder Luftschicht entstehen automatisch langlebige Kondensstreifen. Entscheidend sind Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftdruck. Moderne Wettermodelle können heute sehr präzise berechnen, in welchen Atmosphärenzonen die Bildung von langlebigen, wärmewirksamen Kondensstreifen besonders wahrscheinlich ist. Werden diese Zonen in der Flugplanung berücksichtigt, können Flugzeuge gezielt etwas höher oder tiefer fliegen - oft mit nur minimalen Änderungen der Route. Das Prinzip ist einfach: Wo keine geeigneten Bedingungen herrschen, können sich auch keine langlebigen Kondensstreifen bilden. In der Praxis erfordert das jedoch hochpräzise Vorhersagen, automatisierte Systeme und eine enge Verzahnung von Wetterdaten, Flugverkehrsmanagement und Airline-Betrieb.

Forschung unter Realbedingungen: Messflüge direkt hinter Passagierjets

Um diese Zusammenhänge nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch zu verstehen, setzt die Forschung auf direkte Messungen in der Atmosphäre. Dabei kommt unter anderem das Forschungsflugzeug Falcon 20E des Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt zum Einsatz. Die DLR Falcon ist ein fliegendes Labor für die Umwelt- und Klimaforschung. Die Falcon 20E-5 fliegt höher als die meisten Verkehrsflugzeuge und ist äußerst robust und wendig. Dieses Flugzeug folgt ausgewählten Passagiermaschinen in einem Abstand von rund zehn Kilometern durch die Reiseflughöhe. Hochpräzise Instrumente messen dabei:

  • die Anzahl und Größe der Partikel im Abgasstrahl
  • die Entwicklung der Eiskristalle im Kondensstreifen
  • den Wasserdampfgehalt
  • die Ausdehnung des Kondensstreifens über die Zeit

Begleitet werden diese Messflüge unter anderem von Passagierflugzeugen der TUIfly, die bewusst durch kondensstreifenbegünstigende Regionen fliegen. So lassen sich die physikalischen Prozesse direkt unter Alltagsbedingungen erfassen - ein entscheidender Schritt für belastbare Modelle.

Das europäische Forschungsprojekt A4Climate

Die Bündelung dieser Forschungsarbeiten erfolgt im europäischen Projekt A4Climate. Hier arbeiten 17 Partner aus neun Ländern zusammen, darunter Forschungseinrichtungen, Fluggesellschaften, Wetterdienste und Technologieunternehmen. Ziel ist es, praktikable Lösungen zu entwickeln, mit denen Kondensstreifen künftig gezielt vermieden, reduziert oder klimaverträglicher gestaltet werden können. Dazu werden Satellitendaten, Bodenmessungen, Messflüge, Wettermodelle und Klimasimulationen in einem gemeinsamen System zusammengeführt. Über die Projektlaufzeit werden mehrere hundert Linienflüge ausgewertet, um den Einfluss smarter Routenwahl auf die tatsächliche Kondensstreifenbildung realitätsnah zu untersuchen.

"Unser Ziel ist es, auf dem Weg zur klimaverträglichen Luftfahrt wissenschaftlich fundiert voranzuschreiten bei gleichzeitigem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. Exakte Vorhersagen und automatisierte Prozesse zur Kondensstreifenvermeidung sind dafür wichtige Werkzeuge, die umfangreich erprobt und weiterentwickelt werden müssen. Hier bringen wir als DLR unsere umfangreiche Expertise und Systemkompetenz in der Luftfahrtforschung ein"
- Dr. Markus Fischer, DLR-Bereichsvorstand Luftfahrt

Vollautomatische Datenpipelines für die Flugplanung der Zukunft

Ein besonders wichtiger Baustein ist der Aufbau einer vollautomatischen Datenpipeline. Diese soll es in Zukunft ermöglichen, Wetterdaten in Echtzeit auszuwerten und sofort Routenempfehlungen zu berechnen, bei denen die Gefahr langlebiger Kondensstreifen besonders gering ist. Das System soll dabei nicht nur Empfehlungen liefern, sondern auch sofort bewerten, wie stark sich eine alternative Route auf Flugzeit, Treibstoffverbrauch, operative Abläufe und Gesamtklimawirkung auswirkt. Satelliten sollen später zusätzlich überprüfen, ob sich in der Realität tatsächlich weniger Kondensstreifen bilden. Damit entsteht erstmals ein geschlossenes System aus Vorhersage, Umsetzung und Kontrolle.

Moderne Triebwerke: Weniger Ruß, andere Kondensstreifen

Neben der Flugplanung spielt auch die Triebwerkstechnik eine wichtige Rolle. Moderne Magerverbrennungs-Triebwerke stoßen deutlich weniger Rußpartikel aus als frühere Generationen. Da Rußpartikel als Kristallisationskeime für die Eiskristallbildung dienen, verändert sich dadurch auch die Struktur der entstehenden Kondensstreifen. Aktuelle Messkampagnen untersuchen, ob sich durch diese rußarmen Triebwerke:

  • die Anzahl der Eiskristalle verringert
  • die Lebensdauer der Kondensstreifen verkürzt
  • die Ausbreitung der Eiswolken verändert

Zusätzlich wird getestet, wie sich nachhaltige Flugkraftstoffe (Sustainable Aviation Fuels, SAF) auf die Kondensstreifenbildung auswirken. Erste Messungen deuten darauf hin, dass auch hier positive Effekte möglich sind, die künftig gezielt genutzt werden könnten.

Kondensstreifen verstehen heißt Klimawirkung steuern

Der Klimaeinfluss von Kondensstreifen ist heute deutlich besser verstanden als noch vor wenigen Jahren. Wichtig ist dabei: Nicht jeder Kondensstreifen hat automatisch eine relevante Klimawirkung. Viele lösen sich innerhalb kurzer Zeit wieder auf, ohne eine nennenswerte Wirkung zu entfalten. Problematisch sind vor allem jene Kondensstreifen, die sich zu großflächigen Eiswolken ausbreiten und über Stunden bestehen bleiben. Genau diese lassen sich jedoch besonders gut vorhersagen – und damit auch gezielt vermeiden. Die Forschung zeigt: Ein vergleichsweise kleiner Teil aller Flüge verursacht den größten Anteil der Kondensstreifenwirkung. Dadurch entsteht ein enormes optimierbares Potenzial, ohne den gesamten Luftverkehr grundlegend zu verändern.

Wirtschaftliche Umsetzbarkeit für Airlines

Ein entscheidender Aspekt ist die wirtschaftliche Machbarkeit der neuen Konzepte. Denn auch bei kleineren Änderungen der Flughöhe oder Route müssen Airlines Treibstoffverbrauch, Slot-Zeiten, Anschlussflüge, Crew-Einsatz und Wartungspläne berücksichtigen. Deshalb analysieren Luftverkehrsforscher parallel, welche Auswirkungen klimaoptimierte Flugrouten auf den täglichen Airline-Betrieb haben. Ziel ist es, Verfahren zu entwickeln, bei denen sich Klimaschutz und wirtschaftlicher Betrieb sinnvoll miteinander verbinden lassen. Künftig könnten auch neue Anreizsysteme entstehen, die klimafreundlich geplante Flüge zusätzlich fördern.

Was bedeutet die Kondensstreifen-Forschung für Passagiere?

Für Fluggäste bleibt die Vermeidung von Kondensstreifen in der Regel unsichtbar. Die Kabine, der Service und der eigentliche Flugablauf ändern sich nicht. Mögliche Effekte im Hintergrund sind:

  • leicht angepasste Flughöhen
  • geringfügig veränderte Routen
  • in Einzelfällen minimal längere Flugzeiten

Dafür profitieren Passagiere indirekt von einer weiter verbesserten Umweltbilanz des Flugverkehrs. Langfristig könnten Klimainformationen pro Flug sogar transparenter werden - ähnlich wie heutige CO₂-Kennzeichnungen.

Europa als Testfeld für die klimabewusste Luftfahrt von morgen

Mit den laufenden Forschungsarbeiten entsteht in Europa ein einzigartiges Testfeld für die klimaoptimierte Luftfahrt. Die hier entwickelten Verfahren, Modelle und Softwarelösungen können später weltweit genutzt werden - etwa im internationalen Luftverkehr oder in globalen Verkehrsmanagementsystemen. Sollten sich die Konzepte im täglichen Betrieb bewähren, könnten sie langfristig fester Bestandteil der normalen Flugplanung werden. Damit würde ein weiterer Baustein hinzukommen, um das Fliegen Schritt für Schritt noch nachhaltiger, effizienter und umweltverträglicher zu gestalten.

Kondensstreifen werden auch in Zukunft zum Flugbetrieb gehören. Der entscheidende Unterschied liegt jedoch darin, dass ihre Entstehung zunehmend verstanden, vorhergesagt und gezielt beeinflusst werden kann. Moderne Luftfahrt bedeutet heute nicht nur effizientere Triebwerke und leisere Flugzeuge, sondern auch eine immer intelligentere Nutzung des Luftraums. Mit präziser Wettervorhersage, smarter Routenplanung, neuen Triebwerkstechnologien und nachhaltigen Kraftstoffen entsteht ein Gesamtpaket, das den Himmel von morgen sichtbar verändert – kontrollierter, bewusster und technisch durchdacht.

Dabei zeigt sich immer deutlicher, dass die Vermeidung von Kondensstreifen kein theoretisches Zukunftsprojekt mehr ist, sondern bereits heute unter realen Betriebsbedingungen erprobt wird. Die enge Zusammenarbeit von Forschung, Airlines, Wetterdiensten und Flugsicherung schafft dafür eine neue Qualität der Datenverfügbarkeit und Entscheidungsunterstützung. Je besser sich Atmosphäre, Flugzeuge und operative Abläufe miteinander vernetzen lassen, desto gezielter können klimawirksame Effekte beeinflusst werden – ohne den sicheren und zuverlässigen Luftverkehr einzuschränken. Auf diese Weise entsteht Schritt für Schritt eine neue Generation der Flugplanung, bei der Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Klimabewusstsein nicht als Gegensätze verstanden werden, sondern als sich ergänzende Ziele einer modernen, verantwortungsvoll gestalteten Luftfahrt.

...hierzu anmelden oder registrieren